Inhalte in der Übersicht
Im Folgenden eine kurze Übersicht über relevante Aspekte der Arbeit des WEISSEN RINGS für Experten aus Medizin und Psychologie, die mit Opfern von Gewalt und Straftaten zu tun haben.
Im Umgang mit Opfern unvoreingenommen, respektvoll und professionell sein – das will gelernt sein. Die WEISSER RING Akademie schult Experten verschiedener Fachrichtungen genau in dieser Hinsicht.
Der WEISSE RING fördert gemäß seiner Satzung Forschungsprojekte, die der Vorbeugung von Kriminalität dienen und/oder die Rehabilitation von Kriminalitätsopfern zu verbessern helfen.
Opfer von Straftaten sind mit verschiedenen psychischen Belastungen konfrontiert. Hier können wir im Bedarfsfall mit einem Hilfescheck für eine kostenlose psychotraumatologische Erstberatung helfen. Solche Hilfeschecks werden gegebenenfalls von den Opferhelfern in unseren Außenstellen persönlich überreicht und können bei einem vom Opfer selbst gewählten Therapeuten mit entsprechender Qualifikation eingelöst werden, der dann die angegebene Summe mit dem WEISSEN RING abrechnen kann.
Zu einzelnen Themen stellen wir Informationsmaterial für Betroffene zur Verfügung, das gern auch in gedruckter Fassung bei uns bestellt und weitergegeben werden kann. Derzeit verfügbar sind Flyer zu den Themen „Gewalt erleben“ und „Stalking“ für Betroffene sowie Informationen für Helfer im Faltblatt „Traumatisiert“:
Stand Februar 2020
Ferner erhebt der WEISSE RING gesundheitspolitische Forderungen zur psychotherapeutischen Versorgung von Kriminalitätsopfern.
Diese können Sie im Folgenden online lesen oder hier als PDF herunterladen:
Kriminalitätsopfer haben ein erhebliches Risiko, nach einer Straftat an einer Traumafolgestörung zu erkranken. Die Tat ist grundsätzlich als Schockereignis zu werten. Sie löst starke körperliche und emotionale Reaktionen aus und kann zu emotionalen Überlastungen führen. Aus der Traumaforschung ist bekannt, dass von Menschen verursachte Traumatisierungen deutlich häufiger zu Folgeerkrankungen führen als z. B. Naturkatastrophen. Diese „man-made disasters“ verursachen eine intensive soziale Verunsicherung.
Die körperlichen, psychischen und sozialen Reaktionen führen zu einer „Erschütterung des Welt- und Selbstbildes“ und münden im Falle misslingender Verarbeitung in eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung wie z. B. die „Posttraumatische Belastungsstörung“
Das plötzlich hereinbrechende Ereignis und die gleichzeitige soziale Verunsicherung erfordern eine möglichst frühzeitige Intervention. Eine frühe Stabilisierung und Versorgung, z. B. in Traumaambulanzen, kann in vielen Fällen eine psychische Erkrankung verhindern. Ist sie eingetreten, kann eine früh beginnende Psychotherapie zu schnellen und nachhaltigen Behandlungserfolgen führen.
Grundsätzlich sind zwei Betroffenengruppen zu berücksichtigen. Die bisherige Schilderung hat Opfer einzelner Straftaten im Fokus. Daneben ist zu berücksichtigen, dass für komplex traumatisierte Opfer (z. B. Opfer von lang anhaltendem sexuellem Kindesmissbrauch), darüber hinausgehende Behandlungsangebote bereitgestellt werden müssen. Sie haben einen Behandlungsbedarf, der von den traditionellen Therapieangeboten nur unzureichend gedeckt wird.
Kriminalitätsopfer, die eine Behandlung ihrer tatbedingten psychischen Erkrankung benötigen, sind in der Regel auf die Leistungen ihrer Krankenversicherung angewiesen. Aus diesem Grund muss auch die allgemeine Situation der psychotherapeutischen Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung berücksichtigt werden.
Die Versorgungsdichte mit kassenzugelassenen Psychotherapeuten ist unzureichend. Nach einer Studie, die in der Publikation „BPTK-spezial: Bedarfsplanung 2013 – ein Überblick“ veröffentlicht wurde, warten etwa ein Drittel der Patienten länger als drei Monate auf ein Erstgespräch (und von dort ist es noch ein langer Weg über probatorische Sitzungen und Gutachterverfahren zum tatsächlichen Therapiebeginn). Nimmt man als Anhaltspunkt die Fristenregelung zur Kostenerstattung, wären drei Wochen als zumutbar anzusehen. Die Unterversorgung ist im ländlichen Raum deutlich (fünffach) gravierender als in Städten.
Nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) sind die Krankenkassen verpflichtet, im Falle der Erkrankung Leistungen der Krankenbehandlung zu erbringen. Dies tun sie mit Hilfe von vertraglich gebundenen Ärzten und Psychotherapeuten („Kassenarzt“). Sind diese Vertragsbehandler nicht in der Lage, die Leistung zu erbringen, besteht für den Patienten die Möglichkeit, sich die Leistung nach vorheriger Beantragung bei der Krankenkasse selbst zu beschaffen und sich die Kosten erstatten zu lassen.
Diese Möglichkeit der Kostenerstattung nach § 13 Absatz 3 SGB V wird zunehmend restriktiv gehandhabt: Patienten werden nach den uns erreichenden Berichten nicht auf die Möglichkeiten hingewiesen. Dabei ist es Aufgabe der Kostenerstattung, trotz Versorgungsmängeln den Rechtsanspruch auf Behandlung zu gewährleisten. Falls der Antrag gestellt wird, erfolgen viele Ablehnungen, insbesondere in Fällen, in denen heilpraktische Psychotherapeuten ohne Approbation aufgesucht werden. Gerade im Bereich Gewalt gegen Frauen haben viele Therapeutinnen schon lange vor dem Psychotherapeutengesetz qualifiziert mit traumatisierten Patientinnen gearbeitet, die Anforderungen der Übergangsregelungen bei Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes aber nicht erfüllt. Hier liegt neben den approbierten Psychotherapeuten ohne Kassensitz ein nennenswertes Potenzial vor, das von gesetzlichen Krankenkassen (im Unterschied zu Berufsgenossenschaften und teils auch Versorgungsverwaltungen) nicht genutzt wird.
Die Regelungen zur Bedarfsfeststellung werden vom Gemeinsamen Bundesausschuss Ärzte- und Krankenkassen festgelegt. Darin finden die ständig medial vermittelten Steigerungszahlen psychischer Erkrankungen jedoch keine Berücksichtigung. Die Kassenärztlichen Vereinigungen setzen im Einvernehmen mit den Krankenkassen die Regelungen in die Bedarfsplanung um. Auf dieser Grundlage werden die Kassensitze vergeben.
Eine solche Bedarfsfeststellung ist als fragwürdig anzusehen: so ist z. B. die Versorgungsdichte in Städten fünfmal so hoch wie auf dem Land. Nach neuesten Festlegungen des Gemeinsamen Bundesausschusses Ärzte und Krankenkassen (G-BA) sollen psychiatrische Institutsambulanzen in den Bedarf an psychotherapeutischen Praxen eingerechnet werden. Dies ist sachlich nicht nachzuvollziehen, da sie eine andere Patientengruppe behandeln als niedergelassene Psychotherapeuten. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 23.06.2010 (B 6 KA 22/09 R), nach dem das Versorgungsangebot zu erweitern ist, wenn Patienten andernfalls eine Anreise von mehr als 25 km haben, wird offensichtlich auch heute noch nicht berücksichtigt. Es ist festzuhalten, dass bei der Bedarfsplanung der tatsächliche Bedarf keine Rolle spielt. Die Überarbeitung der Bedarfsplanungsrichtlinie durch den G-BA muss also diesen tatsächlichen Bedarf als Planungskriterium gleichberechtigt berücksichtigen. Diese müssen Kassenärztliche Vereinigung und Krankenkassen anschließend umsetzen.
Dies führt zu unseren Erfahrungen, dass eher im Normalfall als in der Ausnahme von Wartezeiten von deutlich mehr als drei Monaten berichtet wird bzw. davon, dass Therapeuten ihre Wartelisten schließen. Damit wird nicht nur der o. g. Rechtsanspruch ignoriert, auch aus wirtschaftlicher Perspektive ist eine ausreichende Versorgung zu fordern: Nach Aussagen der Bundespsychotherapeutenkammer (BPTK) spart jeder Euro, der in Psychotherapie investiert wird, vier Euro Folge-Gesundheitskosten.
Die Krankenkasse ist nach § 13 Absatz 3a SGB V verpflichtet, über einen Leistungsantrag innerhalb von drei Wochen zu entscheiden. Benötigt sie für die Entscheidung ein Gutachten, verlängert sich die Frist auf fünf Wochen. Diese vom Gesetz als angemessen angesehene Frist kann als Anhaltspunkt für eine zumutbare Wartezeit dienen.
Gerade für die Behandlung sogenannter Monotraumata wurden in den vergangenen Jahren nachweislich wirksame Therapiemethoden entwickelt (z. B. EMDR bei Erwachsenen). Diese sind geeignet, Therapiezeiten zu verkürzen. Leider verfügen zu wenige Psychotherapeuten über solche Zusatzqualifikationen. Eine angemessene Berücksichtigung traumatherapeutischer Methoden und Verfahren in den Psychotherapierichtlinien würde Anreize schaffen, entsprechende Zusatzqualifikationen zu erwerben.
Eine weitere Beschränkung bei der Therapeutensuche stellt die Tatsache dar, dass bei bestimmten Opfergruppen (z. B. Vergewaltigungsopfern) häufig der Wunsch geäußert wird, mit Therapeuten gleichen Geschlechts zu arbeiten.
Für Menschen ohne ausreichende deutsche Sprachkenntnisse stehen muttersprachliche Psychotherapeuten nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung, Dolmetscher können in der Regel nicht eingesetzt werden, da die Kosten hierfür nicht übernommen werden. Es ist zu fordern, dass die Verfügbarkeit relevanter Sprachen als Sonderbedarf bei Zulassungen berücksichtigt wird. Eine Finanzierung notwendiger Dolmetscherkosten bei Psychotherapie sollte gesetzlich verankert werden.
Traumaambulanzen bieten die Möglichkeit, schon zu einem frühen Zeitpunkt (sogar vor dem manifesten Krankheitsbeginn) zu intervenieren. Sie sind nicht flächendeckend vertreten und haben deutliche Beschränkungen der zugelassenen Opfergruppen (nur OEG-Delikte). Teilweise bestehen noch weitere Einschränkungen, so gibt es Traumaambulanzen, die nur Kinder oder Jugendliche behandeln, oder Opfer nur bis vier Wochen (in einem anderen Fall sechs Monate) nach der Straftat annehmen.
Hilfreich zur Verbesserung der Versorgungslage können internetgestützte traumatherapeutische Verfahren sein. Dies gilt insbesondere für wenig mobile Menschen und Menschen, die störungsbedingt das Haus nicht verlassen. Im Sozialrecht ist hierfür trotz belegter Wirksamkeit keine Finanzierung vorgesehen.
In den Psychotherapierichtlinien sind Begrenzungen des zeitlichen Umfangs festgeschrieben, die grundsätzlich auch für mögliche Verlängerungen gelten. Diese sind zwar nicht bindend (siehe Punkt C), bewirken aber regelmäßig vorzeitige Therapiebeendigungen.
Gerade bei der Personengruppe der schwerstgeschädigten Opfer sind diese Begrenzungen in den Psychotherapierichtlinien zu eng gefasst. Vielen Patienten verhilft hier die Therapie dazu, alltagstauglich zu werden und zu bleiben. Dies ist im Sinne des § 27 SGB V Aufgabe der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), wird aber durch die aktuelle Handhabung konterkariert.
Ebenso sind Forderungen nach Ausbau von Kurzzeittherapien, wie sie vom GKV-Spitzenverband in einem Positionspapier zur „Reform des Angebots“ an ambulanter Psychotherapie erhoben werden, nicht zielführend. Diese werden durchaus häufig eingesetzt sofern sie indiziert sind. Eine generelle Forderung nach Kurzzeittherapie, um mit der vorhandenen Anzahl zugelassener Psychotherapeuten eine größere Zahl von Patienten versorgen zu können, wird den Bedürfnissen der Patienten nicht gerecht. Maßgeblich muss der Behandlungsbedarf des Patienten sein. Dies gilt insbesondere auch für die Gruppe der Traumatisierten. Aus demselben Grund sind Forderungen nach Pauschalierungen abzulehnen.
Therapien bei komplex traumatisierten Patienten werden mit dem Hinweis auf § 26 Absatz 3 der Psychotherapierichtlinien abgelehnt, da eine Besserung nicht zu erwarten sei. Dies widerspricht dem Behandlungsanspruch in § 27 Absatz 1 Satz 1 SGB V: „Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.“ Dies korrespondiert mit § 1 Absatz 2 der Psychotherapierichtlinien, der die gleichen Voraussetzungen aufstellt. Die Richtlinie sollte dementsprechend angepasst werden.
Der Runde Tisch hat festgestellt, dass das Sozialleistungssystem eine geeignete und ausreichende therapeutische Versorgung sicherstellen müsste. Da es zurzeit aber noch nicht ausreichend funktioniert, wurde das ergänzende Hilfesystem (Laufzeit drei Jahre) geschaffen.
Im Abschlussbericht ist u. a. festgestellt:
Fragestellung: Was wird zurzeit getan, um das gesetzliche System an die Anforderungen anzupassen?
Fazit hierzu: Wir haben immer mehr und immer bessere Möglichkeiten, traumatisierten Opfern psychotherapeutisch zu helfen und durch eine kurze zielgerichtete Behandlung vor Einsetzen von Chronifizierung sowohl Leiden als auch Kosten zu minimieren. Es gelingt aber nicht, diese Kapazitäten in auch nur annähernd ausreichendem Maße in angemessener Zeit zur Verfügung zu stellen. Dabei ist davon auszugehen, dass ausreichend approbierte Psychotherapeuten zur Verfügung stehen und lediglich die Zahl der kassenzugelassenen Psychotherapeuten zu gering ist.
Der Fachbeirat Medizin/Psychologie des WEISSEN RINGS hat die Ergebnisse einer Umfrage bei den Landesversorgungsverwaltungen, ob und ggf. welche Qualitätsanforderungen von ihnen zur Voraussetzung für die Anerkennung als Traumaambulanz gemacht werden, erörtert.
Im Ergebnis kommt der Fachbeirat zu einem Katalog an Forderungen, die Traumaambulanzen erfüllen sollten:
Traumaambulanzen sollten in Deutschland flächendeckend angeboten werden. Es wird gewürdigt, dass dies in 15 von 16 Bundesländern so gesehen und schon beginnend oder vollumfänglich umgesetzt wird. Eine Beschränkung des Zugangs auf eine Teilgruppe (nur Kinder/Jugendliche oder nur akut Traumatisierte) ist nicht akzeptabel.